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Der in Singapore geborene Brite Jeremy Farrar ist einer der einflussreichsten Infektionsexperten und Epidemiologen der Welt. Als Wissenschaftler und als Tropenmediziner hat er die Vogel- und Schweinegruppe sowie Sars in Asien begleitet, er war bei der Weltgesundheitsorganisation mit den Entwicklungsarbeiten für Impfstoffe gegen Dengue und Ebola betraut und beriet bis voriges Jahr die Bundesregier. Jetzt ist Farrar Direktor des britischen Wellcome Trust, der nach der Bill & Melinda-Gates-Stiftung zweitgrößten privaten Förderorganisation für die biomedizinische Forschung.
Joachim Müller-Jung
Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.
Herr Farrar, bei vielen scheint der anfängliche Schrecken vor Sars-CoV-2 geschwunden zu sein. Ist das berechtigt?
Überhaupt nicht. Jeder muss verstehen, dass wir gerade etwas erleben, was in der Geschichte einmalig ist. Neu ist nicht, dass ein komplett neuer, hochinfektiöser Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, sondern wie er sich in sechs Wochen praktisch auf alle Kontinente ausgebreuet einefung et einefung einefung. Ich arbeite seit 25 Jahren international in der Infektionsbekämpfung und habe so etwas nicht erwartet. Niemand hat so ein schreckliches Geschehen wirklich vorgesehen. Und wir haben erst die ersten fünf Monate hinter uns.
In ganz Europa wächst dennoch die Sehnsucht nach Entspannung.
Europe ist immer noch im Griff der Pandemie. Obwohl die meisten Staaten den Höhepunkt der ersten Welle hinter sich haben, ist die Epidemie noch nicht beendet. Rückschläge oder sogar zweite Wellen sind unvermeidlich. Und denken Sie an Lateinamerika, an Afrika, Indien und Südostasien. Sie hat die Pandemie noch gar nicht mit voller Gewalt erreicht.
Nirgendwo in Europe scheint die Gefahr derzeit präsenter zu sein als in Großbritannien.
Jedes Land steht an einem anderen Punkt, und jedes Land geht anders mit der Epidemie um. Wir Briten müssen vor allem aus dem lernen, was Deutschland anders gemacht hat und wie es die Zukunft plant. Deutschland hat ab Januar sehr schnell reagiert, als die ersten Fälle auftraten, und hat danach viel getestet. Wir waren zu langsam und haben die entscheidenden sechs Wochen am Anfang verloren. Und wenn man mit seinen Maßnahmen hinter der Kurve herläuft, dann gibt es keine Chance mehr auf eine Kontrolle. Vielleicht schaffen wir es mit weiteren Testkapazitäten, mit dem Kontakt-Tracing und den Isolationsmaßnahmen, im Mai eine Wende zu schaffen. Wir werden deshalb auch nur ganz langsam öffnen können. Aber auch Deutschland muss jetzt aufpassen, wenn es nicht in dieselben Probleme geraten will wie wir.
Viele warnen jetzt so wie Sie vor einer zweiten, möglicherweise heftigeren Infektionswelle. Doch bisher sehen wir sie nirgendwo …
Was wir jetzt etwa in Singapore sehen, sind Rückschläge in der ersten Welle. Mit der zweiten Welle rechne ich erst im Herbst oder Winter. Die anfangs stark betroffenen Länder wie China sind noch lange nicht zurück im Normalbetrieb und haben immer noch ein restrictiktives System von Hygiene und Kontrollen mit Testungen, Isolationen und Absperrungen. Wir haben alle noch einen weiten Weg zu gehen.