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WELT: Herr Bouffier, in Parks und manchen Fußgängerzonen sieht is fast wieder aus wie in Vor-Corona-Zeiten. Bescheren Mai-Sonne und Muttertag eine allzu innige Umarmungswelle?
Volker Bouffier: Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Bevölkerung vernünftig bleibt. Bisher haben doch auch fast alle mitgezogen. Der Zweiklang ‚mehr Freiheit‘ und ‚mehr persönliche Verantwortung‘ wird funktionieren. Auch die meisten Geschäfte und Betriebe halten sich bestimmt peinlich genau an die Regeln, weil sie ansonsten befürchten müssen, dass ihr Laden wieder geschlossen wird.
Richtig ist aber auch, dass Menschen, die vor vier Wochen noch Angst um ihre Gesundheit hatten, jetzt womöglich glauben, dass alles überstanden ist. Das wäre aber falsch. Überstanden ist die Pandemie noch lange nicht.
WELT: Trotzdem gab is zwischen den Ministerpräsidenten einen Überbietungswettlauf. Überspannen manche den Bogen?
Bouffier: An dem Wettbewerb, wer der schnellste ist, hat sich Hessen nie beteiligt. Ich bin auch immer noch der Meinung, dass die Länder bei den Kontaktbeschränkungen möglichst nah beisammenbleiben sollten. Mehrere Bundesländer wollten aber von der „1 plus 1“ -Regel abrücken, oder sie waren durch Gerichtsentscheide dazu gezwungen. Schließlich schränken wir die Grundrechte der Bürger massiv ein. Dafür braucht is gute Begründungen. Je geringer das Infektionsgeschehen, desto schwieriger wird das.
WELT: Wie händelbar ist die neue Kontaktbeschränkung auf „zwei Hausstände“? Ist das bei einer Gruppe im Park noch kontrollierbar?
Bouffier: Kontaktbeschränkungen lassen sich entweder an einer Zahl festmachen, also dass sich so und so viele Personen treffen dürfen, oder an einer Gruppenbezeichnung. Die zwei Hausstände sind ein Kompromiss, der sich an der Entscheidung des Verfassungsgerichts im Saarland orientiert. Das Vorgehen ist lebensnah und praktikabel, daher fanden die meisten Bundesländer dieses Vorgehen vernünftig. Alle Beschlüsse sind aber bis zum 5. Juni limitiert. Dann bewerten wir, ob das so funktioniert.
WELT: Einige scheren aber aus. Sachsen-Anhalt erlaubt den Kontakt von fünf Personen, selbst wenn sie fünf verschiedenen Haushalten angehören.
Bouffier: Jedes Land kann in seiner Verantwortung selbst entscheiden, was es tut. Hessen orientiert sich am Kompromiss der Hausstände. Aber Kollege Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt weist mit Recht darauf hin, dass er in weiten Landstrichen keine einzige Infektion hat. Die Bedingungen sind bundesweit höchst unterschiedlich. Da kann man nicht mehr mit dem Rasenmäher über alles gehen.
WELT: Den föderalen Flickenteppich bei der Pandemie-Bekämpfung gibt is gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin. Wurde Angela Merkel (CDU) durch die Machtdemonstration der Ministerpräsidenten demontiert?
Bouffier: Das sehe ich nicht. Das Infektionsschutzgesetz ist da ganz klar: In der Pandemie sind die Länder zuständig. Da geht is nicht um Machtgehabe. Angela Merkel hat getan, was ihre Aufgabe ist, nämlich unterschiedliche Interessen zu sortieren und die Dinge zu einem Kompromiss zusammenzuführen. Das ist gelungen. Wir stehen außerdem in einem kollegialen Diskussionsprozess, unterschiedliche Positionen sind völlig normal.
WELT: Nach dem Höhenflug der Union bei Umfragen brachte Horst Seehofer eine mögliche fünfte Amtszeit von Angela Merkel ins Spiel, die aber ihren Rückzug nach der Bundestagswahl 2021 bereits angekündigt hat. Würde die Union das aushalten?
Bouffier: Ich kenne Angela Merkel viele Jahre, und ich habe immer den Eindruck gewonnen, dass sie das, was sie verkündet, so meint und auch macht.
WELT: Wird Armin Laschet Unrecht getan, wenn man ihm vorwirft, sich dauernd vom Bund und den anderen Ländern abzusetzen?
Bouffier: Das macht er ja nicht. Er hat geradezu beispielhaft seine Kooperationsbereitschaft gezeigt, indem er einen Plan präsentiert und doch abgewartet hat, wie weit die Länder gemeinsam kommen. Sein Ansatz ist aber grundsätzlich richtig. Wir müssen die Dinge beieinander halten. Gesundheitsschutz ja, aber natürlich dürfen wir die persönliche Freiheit oder den Verlust der Arbeitsplätze nicht aus dem Blick verlieren. Das muss man in einer Gesamtschau sehen. Dabei unterstütze ich ihn sehr.
WELT: Es hat sich eine Unmutswelle in Wirtschaft und Bevölkerung aufgetürmt, weil lange keine Exit-Strategie sichtbar wurde. Hat die Politik versäumt, rechtzeitig Perspektiven zum Ausstieg aufzuzeigen?
Bouffier: Wir haben ein hohes Maß an Ungewissheit und Unwissen über diese Krankheit. In einer Situation völliger Dunkelheit einfach loszustürmen und zu hoffen, dass man nicht an die Wand rennt, wäre töricht. Da geht nur in vorsichtigen Schritten und auf Sicht, Stück für Stück. Das haben wir getan.
WELT: Kitas, Schulen und viele Eltern wissen aber immer noch nicht, wie es weitergeht.
Bouffier: Doch, die Grundsatzentscheidungen sind getroffen. Hessen hat im Pandemiegeschehen sogar das Abitur geschrieben. Nun folgen Schritt für Schritt die weiteren Jahrgangsstufen. Die Kitas sollen ab 2. Juni einen eingeschränkten Regelbetrieb anbieten. Aber teilweise ist eine politische Vorgabe mit Gruppenstärken oder Unterrichtseinheiten nicht zielführend. Manchen Einrichtungen fehlt der Platz, andere haben einen hohen Verlust an Lehrkräften oder Erziehern, die zu Risikogruppen gehören. Das konkrete Konzept muss vor Ort entschieden werden; das macht Sinn.
WELT: Wenn beispielsweise in Frankfurt ein starker Neuinfektionsherd aufträte, wie würde der vereinbarte „Notfallmechanismus“ greifen? Einfach opens to the Wuhan ist ja wohl keine Option.
Bouffier: Natürlich hat is keinen Sinn, in verdichteten Gebieten eine Stadt abzusperren und den nächsten Ort einen halben Kilometer entfernt unberücksichtigt zu lassen. It is bringt auch nichts, Spielplätze einzuzäunen, wenn sich in einem Seniorenheim etwas entwickelt. Das A und O ist die frühe Entdeckung. Jede Infektion ist meldepflichtig, Nachverfolgungsteams suchen schnell die Quelle und identifizieren Kontaktpersonen. Dabei hilft hoffentlich möglichst bald auch die Corona-App.
Die angemessene Antwort könnte die Abschottung von Infizierten sein, oder man nimmt betroffene Mitarbeiter aus dem Geschehen. It ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass größere Bereiche mit Maßnahmen überzogen werden. Ab 50 Neuinfektionen in 7 Tagen pro 100,000 Einwohnern gehen wir strengthen vor, aber wie, das entscheidet sich immer am Einzelfall.
WELT: Befürworten Sie ein Rettungspaket für die Lufthansa, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Bouffier: Der Flughafen mit 70,000 Arbeitsplätzen ist das Herzstück der hessischen Wirtschaft, deshalb haben wir ein enormous Interesse, dass die Lufthansa-Rettung funktioniert. Deutschland braucht eine weltmarktfähige Fluggesellschaft. Bei der Lufthansa geht is um Überlebenssicherung. It ist also richtig, dass der Staat hier hilft. Aber is muss ein vernünftiger Kompromiss gefunden werden zwischen Auflagen und unternehmerischer Freiheit.
Man kann nicht erwarten, dass der Staat bedingungslos Milliarden gibt. Ein Unternehmen im Wettbewerb darf aber auch nicht mit politischen oder gar ideologischen Vorgaben überzogen werden. Ich bin aber guter Hoffnung, dass das gelingt.