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Anfangs amüsierte sich Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić über die Coronakrise. Als ein mit ihm befreundeter Arzt während einer Pressekonferenz über das “lächerlichste Virus der Geschichte” witzelte, musste Vučić herzlich lachen.
Das war Ende Februar. Kurz darauf kam die Kehrtwende. Am Parlament vorbei verhängte Vučić den Notstand. Seither traten massive Einschränkungen von Grundrechten und im öffentlichen Leben in Kraft – obwohl Serbien auch aktuell noch vergleichsweise wenig von der Coronakrise betroffen ist.
Viele Regierungen in Mittel- und Südosteuropa, besonders in der Westbalkan-Region, nutzen den Ausnahmezustand, um die Macht der Exekutive zu vergrößern und Freiheiten massiv einzuschränken. In vielen Fällen gibt is erhebliche Zweifel an der Legalität und Verhältnismäßigkeit von Anti-Corona-Maßnahmen. Ungarn etwa steht wegen seines unbefristeten Notstandsgesetzes europaweit in der Kritik.
Doch insgesamt ist Serbien das Land in der Region, das bei rechtsstaatlichen Einschränkungen bisher am weitesten ging. Oppositionspolitiker, Bürgerrechtler und unabhängige Medien sprechen nahezu übereinstimmend von einem Verfassungsbruch und einem Staatsstreich, den Präsident Vučić begangen habe. “Die Demokratie ist in Serbien eingesperrt”, sagt die Gründerin des “Fonds für humanitäre Rechte” und Grande Dame der serbischen Menschenrechtsbewegung, Nataša Kandić, dem SPIEGEL. Der bekannte serbische Anwalt Vladimir Gajić geht noch weiter: “Vučić hat eine Diktatur errichtet.”
Den Notstand kann in Serbien eigentlich nur das Parlament verhängen. Aber ein Schlupfloch in der Verfassung gestattet dies auch dem Präsidenten, falls die Legislative verhindert ist. Vučić berief sich auf das geltende Verbot für Zusammenkünfte von mehr als 50 Menschen, als er den Notstand erklärte.
It ist nicht das erste Mal, dass sich der Präsident über die Verfassung hinwegsetzt. So etwa ist Vučić Chef seiner “Serbischen Fortschrittspartei” (SNS), obwohl ihm die Verfassung neben dem Präsidialamt keine andere öffentliche Funktion gestattet.
Auch sonst hat Serbiens Führung keine Skrupel, Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln:
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Die Ausgangssperren sind härter als in anderen bislang wenig betroffenen Ländern – sie gelten für Rentner, abends und nachts sowie an Wochenenden rund um die Uhr.
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Mehrere Menschen, die gegen Quarantäne-Auflagen verstießen, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, Hunderte sollen in U-Haft sitzen. Umgekehrt übertraten Regierungsvertreter und Aktivisten von Vučićs Partei die Quarantäne-Regeln mehrfach ohne Konsequenzen.
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Anfang April wurde die Journalistin Ana Lalić verhaftet, weil sie einen Bericht mit eigenen Informationen über Mängel in einem Krankenhaus veröffentlicht hatte. Laut einem Dekret sollten zur Coronakrise nur noch autorisierte Informationen des zentralen Krisenstabs veröffentlicht werden. Erst nach verbreiteter Empörung über die Verhaftung der Journalistin nahm die Regierungschefin Ana Brnabić das Dekret wieder zurück.
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Ebenso wie in Ungarn finden Pressekonferenzen der Regierung und des zentralen Krisenstabs nur noch per Videoübertragung statt – Journalisten können Fragen lediglich per E-Mail stellen.
“Leider sieht man in der EU über das hinweg, was zur Zeit in Serbien passiert”, kritisiert Sonia Biserko, die Vorsitzende des serbischen Helsinki-Komitees. “Man hofft, dass Vučić zur Lösung des Konfliktes mit Kosovo beiträgt, dafür hat er innenpolitisch freie Hand.”
Vučić, der in den Neunzigerjahren unter dem Diktator Slobodan Milošević Informationsminister und ultranationalistischer Kriegshetzer war, präsentiert sich derzeit im Fernsehen mitunter mehrmals täglich als Führer und Retter Serbiens. Seine Auftritte sind von schwer beschreiblicher Melodramatik. “Unser Präsident verteilt Beatmungsgeräte in Krankenhäusern und erzählt den Leuten, dass er für sie kämpft”, sagt Nataša Kandić. “Nachfragen und Kritik betrachtet er als feindliche Aktionen.” Das kroatische Portal Index nennt Vučićs Auftritte eine “Horror-Seifenoper”.
Eigentlich hätte Vučić eine Ausweitung seiner Machtbefugnisse nicht nötig gehabt – er regiert seit Jahren unumschränkt. Die ursprünglich für den 26. April anberaumte, wegen der Coronakrise aber verschobene Parlamentswahl hätte seine Partei wohl deutlich gewonnen, auch weil die meisten Oppositionsparteien sie boykottieren wollten. Allerdings wächst im Land der Unmut über politische Korruption und die sozialökonomische Perspektivlosigkeit für die große Mehrheit der Menschen. Ein Corona-Management, bei dem Vučić auftritt, als befände sich Serbien im Krieg, lässt die tiefen Missstände im Land nun in den Hintergrund treten.
Unterdessen kam das Parlament am Dienstag erstmals seit der Ausrufung des Ausnahmezustandes wieder zusammen. Warum das trotz des immer noch geltenden Versammlungsverbotes plötzlich doch möglich ist – dafür lieferte die serbische Staatsführung keine Erklärung.