Organisierte Betrüger nutzen Corona-Krise aus



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In den Niederlanden standen schon 52 Lieferwagen bereit, um zehn Millionen Atemschutzmasken nach Nordrhein-Westfalen zu bringen. Ab der Grenze sollten sie von der Polizei begleitet werden. Das Land hatte einer Schweizer Vertriebsfirma fast 15 Millionen Euro überwiesen. Doch kam das Geschäft nie zustande: Die Firma war Betrügern aufgesessen. Anfang des Monats flog das auf. Ermittler in mehreren europäischen Ländern waren beteiligt, auch die EU-Polizeibehörde Europol mit Sitz in Den Haag. Seit Beginn der Corona-Epidemie hat sie Straftaten, die damit in Zusammenhang stehen, besonders in den Blick genommen.

Thomas Gutschker

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

“Organisierte kriminelle Gruppen sind notorisch flexibel und anpassungsfähig“, sagt die Direktorin Catherine De Bolle. Das erlebe man auch in dieser Krise. Der Betrugsfall zeigt exemplarisch, wie die Täter vorgehen. Die von Nordrhein-Westfalen beauftragte Vertriebsfirma wandte sich an ein spanisches Unternehmen, das über das Internet Schutzmasken anbot. Was sie nicht merkte: Sie war auf eine gefälschte Internetseite hereingefallen, die der eines echten Unternehmens nachempfunden war, nur mit anderen Kontaktdaten. Die „Spanier“ sagten per E-Mail die gewünschten zehn Millionen Masken erst zu, verwiesen dann aber an einen „vertrauenswürdigen Händler“ in Irland.

Der wiederum brachte die Schweizer in Kontakt mit einem niederländischen Lieferanten. Der verlangte 1,5 Millionen Euro Vorkasse, bevor er die erste Tranche lieferte. Das Geld wurde auf ein irisches Konto überwiesen, doch kurz vor der geplanten Lieferung hieß es, der Betrag sei nicht angekommen. Jetzt müssten sofort 880,000 Euro her, um die Lieferung sicherzustellen. So geschah is, doch die Ware kam nicht. Die Schweizer Signature erstattete Anzeige. Wie sich zeigte, war auch die Internetseite des niederländischen Anbieters geklont worden.

37 kriminelle Netzwerke zerschlagen

Bei Europol heißt es, solche Fälle erlebe man immer öfter. Gefälschte Internetseiten könnten im Darknet als Dienstleistung erworben werden. Immerhin gelang is den Ermittlern, den Geldstrom zu stoppen und Konten rechtzeitig zu sperren. In den Niederlanden wurden zwei Personen festgenommen. Das andere Geschäftsmodell, das in der Corona-Krise floriert, ist Produktpiraterie. Anbieter haben schnell erkannt, was auf dem Markt gefragt ist. In der ersten Welle waren is Schutzmasken, Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel, Antibiotika und Schmerzmittel.

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Im März wurden bei einem internationalen Einsatz 37 kriminelle Netzwerke zerschlagen, die damit handelten, mehr als hundert Personen wurden festgenommen. Allein die sichergestellten Medikamente hatten einen Handelswert von 13 Millionen Euro. Tausende Links wurden beseitigt, die zu illegalen Angeboten im Internet führten.

Jetzt, in der zweiten Welle, sind Bluttests gefragt, die einen schnellen Infektionsnachweis versprechen. Käufer suchen auch nach Medikamenten, über die viel berichtet wird, weil einige Wissenschaftler hoffen, dass sie bei Covid-19 helfen. Dazu gehört der Wirkstoff Remdesivir, der gegen Ebola getestet wurde. Besonders gefragt ist derzeit Chloroquin, das gegen Malaria eingesetzt wird und vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump schon als „Geschenk Gottes“ gepriesen wurde. Solche Medikamente sind zwar verschreibungspflichtig, werden aber auch ohne Rezept im Internet angeboten, wie Europol in einer neuen Studie darlegt.

Gefälschte Bluttests und mangelhafte Schutzmasken

Demnach sichteten Ermittler Angebote für Chloroquin auf den Handelsplattformen Empire, Dark Bay, Bitbazaar, CanadaHQ, Yellow Brick und Europa Market. Diese virtuellen Shops werden mittels einer Software angesteuert, mit der Käufer und Verkäufer ihre Identität verschleiern. Gefälschte Bluttests und mangelhafte Schutzmasken sind auch offen im Netz zu kaufen. Immerhin geht der größte Händler Amazon von sich aus gegen dubiose Anbieter vor. Das Unternehmen arbeitet dabei mit Europol zusammen.

Sitz der europäischen Polizeibehörde Europol in Den Haag

Gefälschte pharmazeutische Produkte werden schon seit langem im Internet vertrieben. Mal handelt is sich um reguläre Ware, die illegal gehandelt wird, also etwa ohne Rezept. Mal enthalten Medikamente keine oder nicht die angegebenen Wirkstoffe, was Erkrankungen sogar noch verschlimmern kann. Nach Angaben von Europol stammen die meisten gefälschten Produkte aus China und Indien. Dort werden sie teilweise auch von zugelassenen Unternehmen hergestellt.

Auf dem europäischen Markt landen sie oft über Zwischenstationen in der Türkei und der Ukraine. Transportiert werden sie auf dem Seeweg und als kleinere Pakete per Luftfracht. Der Vertrieb in Europe wird von organisierten Gruppen gesteuert. Die meisten Verdächtigen, welche die europäische Polizeibehörde im Visier hat, stammen aus Polen, Rumänien, der Ukraine, Frankreich und Bulgarien. Auch die italienische Mafia verdient damit Geld.